Das menschliche Leben hat es sich zur Aufgabe gemacht, verdammt komplex und unberechenbar zu sein.
Mein eigenes Leben beschert mir einen regelmäßigen Albtraum, der nach strengen entwicklungspsychologischen Regeln nicht mehr auftauchen dürfte, weil ich innerhalb der letzten 10 Jahre einige Sprossen auf der Lebensskala emporgeklettert bin – ohne Sicherungsseil.
I have a dream:
Es ist mitten am Tag, und doch ist es stockdunkel, weil schwarze Wolken gerade hinterrücks die Sonne ermordet haben. Ich hocke mit mehreren Männern in feinen Anzügen in einer Höhle in den Bergen. Wir verstecken uns vor dem drohenden Gewitter.
Getrieben von Angst. Wir brauchen keine Worte, um uns gegenseitig mitzuteilen, dass wir uns unseres nahenden Endes gewiss sind.
Dann beginnt es.
Brennende Felsen werden aus dem Himmel geschleudert und explodieren um uns herum. Einer der Männer schreit: „Berge, bedeckt uns!“
Auch ich möchte lieber von Gesteinsmassen kurz und schmerzlos zermalmt werden, als im Fegefeuer, mit dem der liebe Gott uns in seiner unergründlichen Güte bedenkt, in unerträglichen Schmerzen gefühlte Ewigkeiten in den Tod gebraten zu werden.
Dann erwache ich und brauche einige Zeit, um zu registrieren, dass ich nicht mehr 14 Jahre alt bin und auch nicht hilflos im Bett der mütterlichen Wohnung in Cuxhaven liege.
Das Bild, das ich träumte, ist eins zu eins einem Buch entnommen, das die sogenannte leitende Körperschaft, „der treue und verständige Sklave“, in Brooklyn, New York nach ihrer eigenwilligen Bibelinterpretation ersonnen hat, um die rigide Gruppendynamik der Zeugen Jehovas am Leben zu erhalten.
Und um kleinen Kindern einzuimpfen, dass es ihnen niemals gelingen wird, so perfekt in den von Gottes Diktatur eingesetzten Strukturen zu funktionieren, dass sie ins in bunten Farben beworbene Paradies Einzug halten könnten.
Dass jeder Kontakt mit den bösen von Satan verblendeten Weltmenschen den sicheren Tod bedeutet. Denn Gottes Gerechtigkeitswahn entgeht niemand außer jenen gleichgeschalteten Speichelleckern, deren vorauseilender Gehorsam jeglichen dem Menschen doch so wertvollen „freien Willen“ konterkariert.
Als Kind glaubst du das, was dir tagtäglich gepredigt wird – in erschreckend bildhaften Worten. Die Bilder machen sich in den Kinderköpfen selbstständig und mutieren zu brutalsten Monstern, die für das LEBEN stehen.
In meinen ersten 18 Jahren wachte ich jede Nacht in kalten Schweiß gebadet aus diesem Albtraum auf. Aber nicht mit der Gewissheit, dass dies nur ein Albtraum, sondern vielmehr eine Prophezeiung meines nahenden Endes war. Ich rechnete jeden Morgen damit, dass es mein letzter Morgen war, denn ich war ein Sünder und nicht der Mensch, der Gottes gnädiges Gefallen ernten konnte.
Das Leben schreibt Geschichten, die komplex und herrlich unberechenbar sind.
Und heute... Heute liebe ich das Leben für diese Lektionen in „Menschlichkeit“, weil mir das Bewusstsein, dass das Projekt Mensch eine widerliche Versuchsanordnung und das Produkt Mensch ein Arschloch ist, eine zynische Gelassenheit gelehrt hat, wenn mich versoffenes Nazi-Pack als „Pauli-Zecke“ durch Hamburg begleitet...
Und heute kenne ich auch den Sinn des Lebens:
Nur ein Albtraum!
In diesem Sinne: Frohes Neues Jahr!
Hmmm.
Einspruch!
Ich bin weder Philosoph noch Tiefenpsychologe, weder Guru noch Glaubender.
Ich bin einer von Milliarden, lediglich etwas hervorgehoben durch relativ bessere Lebensumstände.
Meine Gedanken bewegen sich allermeistens in der mir erfaßbaren Welt, obgleich ich die denkbare Existenz anderer Welten nicht sicher verneinen kann.
Und so ergibt sich eben nach jugendlichem intensiven Überlegens, Monologisierens und Diskutierens die einfach, profane und letztlich gerechte Einsicht:
"Das Leben" ist eine Lüge.
Eine bewußte Lüge derer, die uns zu einem ihnen genehmen Verhalten bringen wollen, mittels Normen, Gesetzen und Sanktionen.
Eine unbewußte Lüge derer, die entweder den bewußten Lügnern folgen, oder derer, die unberechtigterweise meinen, sich über andere und anderes emporheben zu müssen. Meine pure Existenz als Mensch hat eben einen Sinn zu haben, sonst könnte ich ja auch eine Amöbe sein.
Ich habe eben das "Glück" oder "Pech" (je nach eigener gefühlten Wichtigkeit), als Mensch auf diesem Globus für einige Zeit herumzulaufen. Als einzelner unter Milliarden ebenso unbedeutend wie eine einzelne Amöbe.
Oder ein Sandkorn.
Nicht mehr.